Bremen (em) Im neuen Projekt OPA3L, das ein Projektvolumen von 5,3 Millionen Euro besitzt, forschen Mathematik- und Informatik-Arbeitsgruppen der Universität Bremen an der Fortentwicklung des Autonomen Fahrens. Ziel ist, vom Parkplatz der Universität in den Straßenverkehr der Stadt zu kommen. OPA3L ist die Kurzversion für die Projektbezeichnung „OPtimal Assistierte, hoch Automatisierte, Autonome und kooperative Fahrzeugnavigation und Lokalisation“. In diesem Vorhaben wollen Technomathematikerinnen und -mathematiker (AG Optimierung und optimale Steuerung) sowie Informatikerinnen und Informatiker (AG kognitive Neuroinformatik und AG virtuelle Realität) der Universität Bremen ganzheitliche Ansätze für das autonome und kooperative Fahren umsetzen. Das Projekt läuft über vier Jahre. Von den insgesamt 5,3 Millionen Euro Projektvolumen fördern das DLR-Raumfahrtmanagement und das Bundesministerium für Wirtschaft (BMWI) 4,5 Millionen Euro; weitere 800.000 Euro werden durch die beteiligten Industriepartner eingebracht. 2,5 Millionen Euro des Projektvolumens sind für die Forschungen an der Universität Bremen vorgesehen. Autonomes Fahren: Viele Visionen, viele Erwartungen OPA3L ist die Fortsetzung des Projektes AO-Car („Autonome, optimale Fahrzeugnavigation und -steuerung im Fahrzeug-Fahrgast-Nahbereich für den städtischen Bereich“), das an der Universität Bremen in den vergangenen beiden Jahren durchgeführt wurde. „Die Entwicklung selbstfahrender Autos ist hochaktuell und wird breit diskutiert. Es gibt viele Visionen, aber auch viele Erwartungen“, sagt Professor Christof Büskens vom Zentrum für Technomathematik der Universität Bremen. „Man möchte nachhaltige, bedarfsgerechte und effiziente Mobilität, weniger Staus, mehr Sicherheit und Komfort erreichen. Aber gerade die Eingliederung autonomer Fahrzeuge in das seit Jahrzehnten bestehende und für den Menschen ‚designte‘ Verkehrssystem stellt dabei eine riesige Herausforderung dar.“ „Unsicherheitsfaktor Mensch“ Diesen Herausforderungen widmen sich die Bremer Forscherinnen und Forscher. „Das Fahrzeug muss sich in einer beschränkten und stark regelbasierten Umgebung orientieren, weitsichtige und optimale Entscheidungen treffen und auf den komplexen, unvorhersehbaren und größten Unsicherheitsfaktor Mensch reagieren“, so Projektmanager Dr.-Ing. Mitja Echim. Zukünftig werde die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen und mit der Umgebung eine wichtige Rolle spielen, um beispielsweise auf Gefahrensituationen hinzuweisen oder optimale und kooperative Fahrmanöver umzusetzen. Vom Parkplatz der Universität in den Straßenverkehr der Stadt Im Vorgängerprojekt AO-Car navigierte das Forschungsfahrzeug selbständig auf dem Parkplatz der Universität. Hindernisse wurden berücksichtigt und freie Parklücken detektiert, um schließlich in einem vollautonomen Manöver einzuparken. Jetzt werden die Wissenschaftler einen Schritt weitergehen: Sie wagen sich in das Stadtgebiet vor. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf Fälle gelegt, die sich durch einen unmittelbaren Nutzen im Alltag kennzeichnen. Beispiele hierfür sind autonome Shuttleservices zur nächsten Straßenbahnhaltestelle in Stadtrandgebieten mit unzureichender ÖPNV-Anbindung oder die autonome Bereitstellung von Fahrzeugen aus Car-Sharing-Pools direkt vor der Haustür. „Die Herausforderung ist, mit multisensorischen Informationen, Vorwissen und Echtzeitinformationen aktueller Fahrzeugzustände zu ermitteln“, erläutert Dr. Joachim Clemens aus der AG Kognitive Neuroinformatik. „Gleichzeitig muss die Umgebung abgebildet werden. Je nach Situation müssen dann die passenden Manöver mit optimaler Steuerung und Regelung berechnet werden.“ Parallel dazu sind Risikoabschätzungen notwendig, die das stets vorhandene „unsichere Wissen“ berücksichtigen – was wiederum zu Verhaltensänderungen und der Generierung neuer Manöver führen kann. Künftig werden insbesondere kooperative und vernetzte Manöver wie ökologische und ökonomische Vorfahrtsregeln an Kreuzungen, das gemeinsame Anfahren an Ampeln, die kooperative Nutzung mehrerer Fahrspuren oder die Kommunikation mit entgegenkommenden Fahrzeugen auf besonders schmalen Straßen betrachtet. Von zwei neuen Industriepartnern, die in OPA3L jetzt erstmals mit integriert sind, werden drei weitere autonome Fahrzeuge zur Verfügung gestellt und zusätzlich zwei – von Menschen gesteuerte – Autos mit Sensorik und Kommunikation ausgestattet. Vom Weltraum auf die Erde Bereits im Vorläuferprojekt AO-Car erzielten die beteiligten Arbeitsgruppen umfangreiche Ergebnisse. Die Entwicklung der wesentlichen Fahrfunktionen erfolgte in der kurzen Laufzeit von weniger als einem Jahr. Dies war insbesondere möglich, weil durch das Team entwickelte Methoden und Algorithmen zu Weltraumanwendungen, wie etwa die autonome Deep-Space-Satellitennavigation, auf die terrestrische Fragestellung „autonomes Fahren“ übertragen wurden. Umgesetzt wurden diese herausfordernden Ansätze aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz auf einem nur unwesentlich veränderten Hybrid-Serienfahrzeug. Neben der bereits umfassenden Serienausstattung besitzt das Forschungsfahrzeug, das jetzt auch im neuen Projekt OPA3L eingesetzt wird, zusätzlich zwei Laser-Scanner zur Bereichsdistanzmessung vor und hinter dem Fahrzeug, sowie ein GNSS+-System zur hochgenauen globalen Lokalisation. Was aber für den Parkplatz noch ausreichend war, muss für den allgemeinen Straßenverkehr erweitert werden. Sicher ist sicher Um die Anforderung an eine verlässliche Wahrnehmung für Fahrten im Stadtverkehr zu erfüllen, wird die Ausstattung durch zusätzliche Laser-Sensoren sowie Kameras ergänzt. Bevor das Fahrzeug jedoch auf die Straße gelangt, durchlaufen die Algorithmen im Rahmen des Projektes einen mehrstufigen Validierungsprozess. Zum einen wird ein aufwändiges Echtzeitsimulationssystem genutzt, welches das Verhalten des Realfahrzeuges am Computer durch einen sogenannten „Digitalen Zwilling“ genau abbildet. Hiermit können sehr effizient sowohl umfangreiche Alltagsfahrmanöver als auch äußert selten auftretende Grenzsituationen am Computer nachgestellt und ausgewertet werden. Störfälle werden mit Modellautos „durchgespielt“ In einer zweiten Stufe werden mehrere Modellfahrzeuge im Maßstab 1:8 verwendet, deren Sensor- und Aktuatorausstattung mit derjenigen der „echten“ Fahrzeuge vergleichbar ist. Mit ihnen werden unvorhersehbare Situationen durch äußere Störeinflüsse „durchgespielt“. Das dann folgende Verhalten – wie reagiert der Wagen, wenn plötzlich ein Baum auf die Straße fällt? – wird mit den Modellfahrzeugen untersucht. Schon auf dieser Ebene wird Studierenden der Universität Bremen die Möglichkeit gegeben, bereits frühzeitig in ihrem Studium an aktuellen Fragestellungen aus der Forschung teilzunehmen. „Erst danach werden die auf diese Weise umfangreich getesteten Algorithmen am realen Groß-PKW untersucht – zuerst ohne weitere Verkehrsteilnehmer, dann zunehmend mit weiteren Beteiligten“, erläutert Christof Büskens das Verfahren. „Um maximale Sicherheit zu garantieren, arbeiten wir weiter mit Fahrer und Beifahrer. Der eine kann zu jeder Zeit die Kontrolle des Fahrzeuges übernehmen, der andere überwacht kontinuierlich die Systemsoftware. Fahrer und Beifahrer sind dafür besonders geschult.“