Kreis Pinneberg (em) Der Unternehmensverband Unterelbe-Westküste e. V. (UVUW) hat seine rund 400 Mitgliedsunternehmen um ihre konjunkturelle Einschätzung gebeten. Die Umfrage zur Konjunkturlage wurde an alle Mitglieder des UVUW verschickt. Teilgenommen haben 159 Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen. Die Ergebnisse liefern daher einen guten Blick auf die gesamtunternehmerische Situation des Westens Schleswig-Holsteins.

Das einzig positive Ergebnis dieser aktuellen Umfrage ist, dass die Unternehmen immer weniger Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung haben. Vor zwei Jahren waren 69% der Unternehmen von Material- und Rohstoffknappheit oder Lieferengpässen betroffen, vor einem Jahr waren es dann noch 50%. Inzwischen haben nur noch 24% der Unternehmen mit derartigen Problemen zu kämpfen.

Erstmals seit langer Zeit haben mehr Unternehmen den Personalbestand verkleinert (24%) und ihn nicht erhöht (21%).

Der Anteil an Unternehmen, der davon ausgeht, dass der Personalbestand demnächst wieder steigen wird, ist seit 2021 rückläufig. Waren es 2021 noch 34%, die den Personalbestand zukünftig steigern wollten, sind es inzwischen nur noch 19%.

Trotz allem bleibt der Fach- und Arbeitskräftemangel eine riesige Herausforderung für die Unternehmen. In Schulnoten übersetzt, bewerten 38% die Situation als „5, mangelhaft“ und 21% bewerten die Situation als „6, ungenügend“. Noch nie haben wir einen höheren Wert gemessen.

In Schleswig-Holstein fehlen allein demografiebedingt bis 2035 mehr als 300.000 Fachkräfte. Das Ausscheiden der Baby-Boomer-Generation aus dem Erwerbsleben verschärft schon jetzt die bestehende Fachkräftelücke.

Neben dem demografischen Wandel verschärfen inländisch die gewünschten Arbeitszeitreduzierungen, Frühverrentungsmodelle und die unzureichende Kita-Betreuung die Situation. Der Mangel an Fach- und Arbeitskräften ist darüber hinaus ein deutliches Indiz für die Herausforderungen in unserem Bildungssystem. Jedes Jahr verlassen etwa 50.000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss, und ein Drittel aller Studierenden bricht sein Studium ab. Die Ergebnisse der aktuellen Pisa-Studie für Deutschland bestätigen die Entwicklung. In allen Bereichen sind die Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler schlechter, bei der Gruppe der leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler sogar signifikant.

Wir sind daher auch auf eine gelingende Integration internationaler Fachkräfte mit ihren Familienangehörigen angewiesen. Als Westküste sind wir von einer gelungenen Erwerbsmigration noch stärker abhängig als der Rest der Republik. Unsere ländliche Region ist stärker von den Auswirkungen des demografischen Wandels betroffen, als es städtische Regionen sind. Darüber hinaus wird die Ansiedelung von Northvolt an der Westküste den Wettbewerb um Fachkräfte massiv erhöhen. Wir brauchen helfende Hände aus dem Ausland.

Um den Arbeitsmarktzugang für Zuwandernde zu fördern, ist ein Abbau von Bürokratie, eine vereinfachte Berufsanerkennung und ein zügiges, vollständig digitalisiertes Visaverfahren von entscheidender Bedeutung.

Wir brauchen in diesem Zusammenhang auch ein Willkommenscenter für ausländische Fachkräfte an der Westküste, nicht nur in Kiel. Schließlich finden bei uns die großen Investitionen statt.

Die kleinen Unternehmen trifft diese Entwicklung besonders hart, denn sie haben kaum die finanziellen Ressourcen oder die Bekanntheit gegenzusteuern. Sie sind und bleiben auf die lokalen Arbeitskräfte angewiesen, die vor dem Hintergrund des demografischen Wandels aber immer weniger werden.

Die Bedenken bezüglich des Abwanderungsrisikos von Fachkräften zu Northvolt nach Heide sind begründet und können nicht ignoriert werden. Laut eigenen Angaben hat Northvolt seit Jahresbeginn bereits über 10.000 Bewerbungen erhalten.

Die Klagen über den Bürokratieaufwand sind auf einem neuen Allzeithoch. 83% der Unternehmen geben an, dass sie der Bürokratieaufwand unternehmerisch herausfordert. Inzwischen gibt es sogar erste Unternehmen an der Westküste, die ihre Geschäftsaufgabe einzig und allein mit den bürokratischen Hürden begründen.

Die dramatischen Klagen über die seit Jahren herrschende Bürokratie sind gerade jetzt so hoch, weil die Unternehmen wirtschaftlich unter Druck stehen und eigentlich die Möglichkeit brauchen, schnell zu agieren.

Die bürokratischen Anforderungen sind nicht mehr zu bewältigen, zumindest nicht, wenn man die Gesetze, Verordnungen und Vorgaben berücksichtigen und vollständig einhalten möchte. Es findet daher teils ein autonomer Bürokratieabbau statt, indem bewusst einzelne Erfordernisse nicht erfüllt werden.

Der Staat hat sich angewöhnt alles bis ins kleinste Detail regeln zu wollen. Er schießt dabei mit Schrotflinten auf Spatzen. Nur einige Stichpunkte wären hier:

Berichtspflichten, Dokumentationspflichten, schriftliche Unterweisungspflichten, statistische Reportingpflichten an öffentliche Stellen, Anzahl an Beauftragten (Brandschutz, Arbeitssicherheit, Maschinen, Nachhaltigkeit, Compliance, Umwelt, Sicherheit, Datenschutz,), Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, Gefährdungsbeurteilungen, Transparenzregister und vieles mehr.

Ein Übermaß an Bürokratie stellt eine Art verdeckte Planwirtschaft dar, die nicht nur die Effizienz beeinträchtigt, sondern auch wertvolle Arbeitszeit verschwendet. Somit verschärft die Bürokratie auch noch den Arbeitskräftemangel.

Weniger Bürokratie wäre im Übrigen ein Konjunkturimpuls, ohne die öffentlichen Haushalte weiter zu belasten. Weniger Melde-, Berichts- und Dokumentationspflichten schaffen mehr personelle, finanzielle und sachliche Ressourcen in Unternehmen und Verwaltung. Gefragt sind Pragmatismus und die Erkenntnis, dass nicht jede Regelung bis ins allerletzte Detail definiert und reportet werden muss.

Die Politik sollte das Mindset endlich ändern und verstärkt Vertrauen in unternehmerische Initiativen setzen sowie eine befreiende Regulierung fördern. Insbesondere sind schnelle, sektorübergreifende und automatisierte Genehmigungsverfahren erforderlich.

Neben dem Mindset ist die volle Ausschöpfung der Digitalisierungsmöglichkeiten die einzige Möglichkeit das Bürokratiemonster zu bändigen. Wir können hier keine Rücksicht mehr auf Partikularinteressen nehmen.

Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang auch, dass in unserer Umfrage 32% der Unternehmen die mangelnde Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung beklagen. Eine effizientere und digitalisierte Verwaltung erfordert eine verstärkte Koordination zwischen den Verwaltungsebenen und Bundesressorts. Hierbei sind klare Kompetenzverteilungen und eine koordinierte Zusammenarbeit unerlässlich.

Neben dem Bürokratieaufwand sind es weiterhin die Energiekosten (47%) und der Mangel an Fachkräften (54%), der die Unternehmen belastet.

Darüber hinaus beklagen immer mehr Unternehmen die hohen Arbeitskosten (52%). Letztes Jahr (2022) lag der Wert noch bei 48%, davor (2021) bei 33% und davor (2020) bei 26%. Vor dem Hintergrund der Inflation sind die Gehälter merklich gestiegen. Darüber hinaus führen auch die Sozialbeiträge zu höheren Kosten. Es gibt zahlreiche ungelöste Reformen in unserem Land. Erstmals seit einem Jahrzehnt haben wir die 40%-Marke bei den Sozialbeiträgen überschritten und aufgrund der prognostizierten höheren Kranken- und Pflegebeiträge werden es voraussichtlich Anfang 2024 sogar mehr als 41% sein. Die gesetzliche Krankenversicherung kämpft nicht mit einem Einnahmenproblem, sondern mit einem Ausgabenproblem.

Gemessen am EU-Durchschnitt von 30,50 Euro, zahlen deutsche Arbeitgeber rund 30% mehr für eine Stunde Arbeit. Eine Stunde Arbeit in der deutschen Industrie ist sogar 44% teurer als im EU-Durchschnitt.

Aktuell bleibt den Arbeitnehmern in Deutschland weniger von ihrem Lohn als in den meisten anderen Ländern. Im Vergleich der OECD liegt Deutschland an der Spitze der Belastung von Arbeitseinkommen durch Steuern und Sozialabgaben.

In den letzten 10 Jahren haben die Unternehmerinnen und Unternehmer die gesamtkonjunkturelle Entwicklung noch nie so pessimistisch beurteilt wie derzeit. 76% gehen von einer sich weiter verschlechternden bundesweiten wirtschaftlichen Entwicklung in den kommenden sechs Monaten aus.

Der Blick ins eigene Unternehmen ist nicht positiver. Inzwischen beurteilen 34% der Unternehmen die gegenwärtige Geschäftslage als „schlecht“. Dieser Wert hat sich in den letzten zwei Jahren kontinuierlich verschlechtert.

In dieses Bild passt auch, dass nur noch jedes dritte Unternehmen (33%) die gegenwärtige Geschäftslage als gut bewertet. Vor einem Jahr lag der Wert noch bei 41% und vor zwei Jahren bei 52%.

Bei der einzelbetrieblichen Betrachtung sind die Gründe vielschichtig und nicht auf einzelne Themen wie geopolitische Risiken, der Mangel an Arbeitskräften, Technologieumbrüche, Klimawandel und Energiepolitik, Kostensteigerungen oder Bürokratie zurückzuführen. Es ist ein toxischer Cocktail entstanden. Es ist zu hoffen, dass im kommenden Jahr, wenigstens die Talsohle erreicht wird und es danach wieder aufwärts geht. Unsere Umfrageergebnisse liefern aber leider keine Anzeichen für einen echten wirtschaftlichen Aufschwung im kommenden Jahr.

Das zurückliegende Halbjahr war enttäuschend. Die Auftragseingänge sind im zurückliegenden Halbjahr deutlich zurückgegangen. Bei 39% der Unternehmen sind die Auftragseingänge zurückgegangen, bei lediglich 19% gestiegen.

Gegenwärtig sieht es sogar noch schlechter aus. 41% geben an, dass der gegenwärtige Auftragsbestand zu gering ist: Ein historisch schlechter Wert. Selbst in der Hochzeit der Coronakrise waren die Unternehmen mit ihrem Auftragsbestand zufriedener.

Für das kommende Halbjahr wird tendenziell weiterhin mit weniger Auftragseingängen gerechnet. 35% glauben, dass diese weiter zurückgehen werden, nur 20% gehen von steigenden Aufträgen aus.

Die Unternehmen im Westen Schleswig-Holsteins sind immer unzureichender ausgelastet. Die durchschnittliche Auslastung liegt derzeit nur noch bei 78%.

Bei jedem achten Unternehmen (12%) droht in den kommenden Monaten sogar Kurzarbeit.

Die Investitionsbereitschaft ist ebenfalls auf einem historischen Tiefpunkt. 45% der Unternehmen geben an, dass sie die Investitionen zukünftig weiter einschränken werden.

Zusammenfassung

  • Kaum noch Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung und den Lieferzeiten
  • Kein weiterer Stellenaufbau
  • Fachkräftemangel verschärft sich weiter
  • Klagen über Bürokratie auf einem neuen Allzeithoch
  • Immer mehr Unternehmen bewerten die bundesweite gesamtwirtschaftliche Situation als schlecht
  • Immer mehr Unternehmen bewerten die eigene Geschäftslage als schlecht
  • Auftragseingänge rückläufig
  • Immer weniger Unternehmen ausgelastet
  • Bei jedem achten Unternehmen droht Kurzarbeit
  • Investitionen werden eingeschränkt