Lübeck (em) Mit einer flexiblen, kreativen und toleranten Unternehmenskultur können Betriebe möglichen neuen Mitarbeitenden eine Perspektive bieten. Das wurde auf der Veranstaltung „Arbeits- und Fachkräfte gewinnen: Ein-, Auf- und Umsteigen im Hansebelt“ der IHK zu Lübeck deutlich. Für die Unternehmen ist der Arbeits- und Fachkräftemangel das größte Geschäftsrisiko der Zukunft.

Jeder zweite Betrieb in Schleswig-Holstein kann freie Arbeitsplätze nicht besetzen. Bis zum Jahr 2035 könnten 180.000 Stellen unbesetzt bleiben. Die IHK zu Lübeck will Unternehmerinnen und Unternehmern bei der Suche nach Lösungen unterstützen. In den Lübecker media docks präsentierten Wissenschaft, Politik und Unternehmen ihre Ansätze zur Bewältigung des Personalengpasses

Prof. Dr. Tabea Scheel, Arbeits- und Organisationspsychologin an der Europa-Universität Flensburg, warb in ihrer Keynote zur Stillen Reserve des Arbeitsmarktes für Proaktivität und Kreativität. Zur Stillen Reserve zählen Personen, die arbeiten möchten, jedoch nicht kurzfristig verfügbar sind, sowie Frauen und Männer, die keine Arbeit suchen, unter bestimmten Voraussetzungen aber ein Arbeitsverhältnis eingehen würden.

„Jobsharing, Vier-Tage-Woche, eine KiTa im Betrieb:  Unternehmen machen einen Fehler, wenn sie neue Ideen in der Arbeitswelt ablehnen. Um eine Änderung kommen Sie nicht herum, denn Ihre Mitbewerber tun es schon“, sagte Scheel vor rund 180 Gästen.

Mit ihrem preisgekrönten Senior-Trainee-Programm bieten die Stadtwerke Lübeck studierten und hochqualifizierten Fachkräften nach einer beruflichen Auszeit einen Wiedereinstieg ins Arbeitsleben. Die Arbeitszeiten seien flexibel, das Profil weit angelegt, alle Möglichkeiten für einen Quereinstieg seien gegeben. „Wir konnten bisher sieben Experten für uns gewinnen. Drei weitere sind gerade im Programm. Zwölf Monate sind dafür völlig ausreichend. Wichtig ist die Befürwortung durch die Führungsebene. Sie muss hinter dem Projekt stehen“, betonte Stadtwerke-Personalreferentin Stefanie Beuster.

Die Stille Reserve kann ein Teil des Lösungsweges sein, um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. „Dieser Ansatz ist eine mittel- bis langfristige Lösung, die Politik und Unternehmen nur gemeinsam erreichen können“, sagte Scheel. Frauen stellten den größten Anteil der Stillen Reserve, erläuterte Scheel. Sie legen großen Wert auf flexible und individuelle Arbeitszeitmodelle. „Wir bekommen die Frauen nach ihrer Elternzeit zwar wieder. Der Mangel an Betreuungsmöglichkeiten hindert sie aber an einer Vollzeit-Tätigkeit. Teilzeit ist daher ein großer Hebel“, sagte sie.

Das neu eröffnete Welcome Center Schleswig-Holstein stelle eine weitere Chance dar. „Wir wollen eine Anlaufstelle für ausländische Fachkräfte sein, eine Orientierungshilfe und eine Willkommenskultur anbieten. Fachkräfte aus dem Ausland sind eine Option. Das wollen wir den Unternehmen zeigen“, sagte Dr. Hinrich Habeck, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein GmbH.

Markus Biercher, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit, ergänzte: „Deutschland ist ein Einwanderungsland. Besonders beim Onboarding müssen wir noch besser werden. Diesen Prozess müssen wir lernen.“

Wirtschaftsvertreter Sten-Arne Saß von der STRABAG PFS GmbH in Lübeck kann bereits eine Erfolgsgeschichte verbuchen. „Wir haben das Glück, viel selbst machen zu können. Wir nehmen unsere ausländischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Sprachkursen, der Suche nach Betreuungsangeboten und Behördengängen an die Hand. Trotzdem brauchen wir Unterstützung, und die bietet das Welcome Center.“

In einem Talk antwortete Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen auf die Frage nach einer Idee für eine schnelle Lösung: „Wir dürfen Menschen mit Beeinträchtigung nicht vergessen. Sie sind gut ausgebildet. Diesen Menschen eine Möglichkeit zu geben, bietet ein riesiges Potenzial.“

Bosse Willenberg, Geschäftsführer der SeeLoge, einem Inklusionshotel in Eutin, riet daher zu mehr Toleranz und Kreativität, um beeinträchtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Perspektive zu bieten. „Wichtig ist es, alles mit einem gesunden Menschenverstand anzugehen. Wer hat welche Talente? Wo müssen wir Grenzen realistisch bewerten und wo können wir vielleicht Tandems bilden, um Schwächen auszugleichen? Arbeitskräfte können sich entfalten, wenn wir Arbeitsplätze für sie gestalten“, sagte Willenberg.

Wertschätzung, Respekt und Augenhöhe – es ist ein Markt der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und die seien auf der Suche nach Mehrwert: Anne Ruß, Employer Branding Managerin bei der Drägerwerk AG und Co. KGaA, rief die Unternehmen dazu auf, sich folgende Fragen zu stellen: Wie will ich als Marke wahrgenommen werden und wofür stehe ich als Arbeitgeber? „Sind Talente von einem Unternehmen überzeugt, suchen sie dort nach Karrieremöglichkeiten. Das Gehalt ist nebensächlich“, sagte Ruß. 

Foto(von links nach rechts) Dr. Can Özren, Pressesprecher der IHK zu Lübeck, Claus Ruhe Madsen, Wirtschaftsminister Schleswig-Holstein, Markus Biercher, Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit, Dr. Hinrich Habeck, WTSH, und Sten-Arne Saß, STRABAG PFS, beim IHK-Fachkräftetag