Reinbek (em/lm) Das B2B Wirtschaftsmagazin traf die VSW-Geschäftsführerin Nicole Marquardsen zu einem weiteren Gespräch, um über einen Fall zu berichten. der besonders für Unternehmen interessant ist.
Frau Marquardsen, in unserem letzten Gespräch haben Sie uns davon erzählt, wie Ihr Verband generell arbeitet. Heute würden wir gerne einmal eine Schilderung eines aktuellen Falles hören, den Sie für ein Mitgliedsunternehmen bearbeitet haben. Gab es da in letzter Zeit etwas Besonderes?
Gerne. Es gab kürzlich einen besonderen Fall. Am 18. März habe ich für eines unserer Unternehmen vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt verhandelt.
Das klingt ja spannend. Wie kommt denn ein Fall vor das Bundesarbeitsgericht?
Im arbeitsgerichtlichen Verfahren existieren drei Instanzen: Arbeitsgericht, Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht. Allerdings ist in vielen Fällen schon nach der zweiten Instanz Schluss, weil die Revision zum Bundesarbeitsgericht vom Landesarbeitsgericht gesondert zugelassen werden muss. Die Zulassung der Revision ist keinesfalls eine Selbstverständlichkeit, sie erfolgt nur in speziell geregelten Fällen, zum Beispiel wenn ein Rechtsstreit von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Worum ging es denn in dem von Ihnen erwähnten Fall?
Es ging um die Frage, ob ein Mitarbeiter die Kosten für eine vom Arbeitgeber vorfinanzierte Weiterbildungsmaßnahme zurückzahlen muss. Es kommt nicht selten vor, dass ein Mitarbeiter eine qualifizierende Weiterbildungsmaßnahme absolviert, für die der Arbeitgeber dann zunächst die Kosten übernimmt. In der Regel profitieren beide Arbeitsvertragsparteien von so einer Konstellation, wenn der Arbeitnehmer sein Wissen nach Abschluss der Maßnahme noch für einen längeren Zeitraum dem Unternehmen zur Verfügung stellt. Vor diesem Hintergrund wird oft ein Vertrag geschlossen, der regelt, dass der Arbeitnehmer die Kosten der Fortbildungsmaßnahme nur dann zurückzahlen muss, wenn er das Unternehmen binnen einer bestimmten Frist, der sogenannten Bindungsfrist, nach Beendigung der Maßnahme verlässt.
Solche Vereinbarungen sind zulässig?
Grundsätzlich ja. Allerdings stellt das BAG an solche Vereinbarungen strenge Anforderungen. Beispielsweise muss ausgeschlossen werden, dass den Mitarbeiter eine Rückzahlungspflicht trifft, wenn er betriebsbedingt gekündigt werden sollte. Auch muss die Länge der Bindungsfrist nach Beendigung der Qualifizierungsmaßnahme im Verhältnis zu dem Umfang und den Kosten den Qualifizierungsmaßnahme stehen. Handelt es sich um eine kurze, nicht besonders teure Qualifizierung, dann darf auch die Bindungsfrist nur relativ kurz sein. Aus Sicht des Arbeitgebers besteht der Zweck solcher Fortbildungsvereinbarungen mit Rückzahlungsklausel im Wesentlichen darin, sicherzustellen, dass ein Mitarbeiter, dem eine Fortbildung finanziert wurde, nicht unmittelbar nach Beendigung der Qualifizierung selber kündigt, um das erworbene Wissen für eine Karriere bei einem anderen Arbeitgeber zu nutzen.
Klingt nachvollziehbar. Und worin bestand nun in Ihrem Fall das Besondere?
In unserem Fall hatte sich der Mitarbeiter eine sehr lange und sehr teure Weiterbildungsmaßnahme, nämlich einen dreijährigen Masterstudiengang mit Kosten von knapp 35.000 Euro finanzieren lassen. Just als die Weiterbildungsmaßnahme beendet war, hat der Mitarbeiter sein Arbeitsverhältnis gekündigt. Das Masterstudium erfolgte ausschließlich auf seinen Wunsch hin und der Arbeitgeber hatte keine Verwendung hierfür, mit der einzigen Ausnahme, dass man den Mitarbeiter gerne noch länger an sich binden wollte. Es war auch für beide Seiten bei Beginn des Masterstudiums klar, dass der Arbeitnehmer im Anschluss nicht auf einer höherwertigen Stelle eingesetzt werden könnte. Der Arbeitgeber hatte die Maßnahme bewilligt, weil es sich um ein sehr soziales Unternehmen handelt und weil man darauf vertraute, dass der Mitarbeiter im Unternehmen bleiben würde.
Was passierte, nachdem der Mitarbeiter gekündigt hatte?
Als der Arbeitgeber die Rückzahlung der Kosten für das Masterstudium verlangte, wandte der Arbeitnehmer ein, dass die Rückzahlungsverpflichtung nicht bestünde, weil die vertraglich vereinbarte Rückzahlungsklausel für den Fall der Eigenkündigung vor Ablauf der in diesem Fall dreijährigen Bindungsfrist nach der Rechtsprechung des BAG unwirksam sei.
Warum sollte die Klausel in diesem Fall unwirksam sein?
Das BAG hat in der letzten Zeit tendenziell deutlich gemacht, dass in der vertraglichen Rückzahlungsklausel nicht einfach geregelt werden kann, dass eine Rückzahlungspflicht besteht, wenn der Mitarbeiter selber kündigt. Vielmehr müsse bereits in der vertraglichen Rückzahlungsklausel differenziert werden, ob die Motivation des Mitarbeiters für die Eigenkündigung in solchen Umständen liegt, die aus seiner eigenen Sphäre stammen, oder solchen, die aus der Sphäre des Arbeitgebers kommen. Solche Ausnahmefälle muss man bereits im Vertrag regeln? Nach der aktuellen Meinung des Bundesarbeitsgerichtes ja. Diese Rechtsprechung überspannt aus meiner Sicht deutlich das Ausmaß dessen, was von einem Arbeitgeber im Hinblick auf eine wirksame Vertragsgestaltung verlangt werden kann. In unserem Fall war die Rechtsprechung des BAG zu der „Beendigungssphäre“ zu dem Zeitpunkt, zudem die Rückzahlungsvereinbarung geschlossen worden war, noch nicht in der Welt. Die Richter des BAG stimmten mir wohl darin zu, dass es in diesem Fall zu einem unbilligen Ergebnis führt, wenn es dabei verbleibt, dass der Arbeitnehmer die Fortbildungskosten nicht zurück zahlen muss, trotzdem wollten sie sich letztlich auch in diesem Fall nicht auf eine Vertragsanpassung einlassen.
Das klingt in der Tat ungerecht. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung kann man von klassischen Weiterbildungsvereinbarungen, bei denen dem Arbeitnehmer eine Maßnahme vom Arbeitgeber finanziert wird, leider nur abraten. Es ist nicht absehbar, was sich das Bundesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang zum vermeintlichen Schutz des Arbeitnehmers noch einfallen lässt. Wir beraten unsere Mitgliedsfirmen in solchen Fallkonstellationen jetzt über alternative Vertragsgestaltungen, die für die Arbeitgeber sicherer sein dürften.
Wie lange haben Sie über diesen Fall prozessiert?
Dreieinhalb Jahre. Die erste Instanz begann 2010.
Das muss ja ein immenser Arbeitsaufwand gewesen sein. Ist es normal, dass Sie in diesem Ausmaß für ein Mitgliedsunternehmen tätig werden?
Ja, natürlich war das ein sehr großer Aufwand. Es kommt nicht häufig vor, dass wir durch drei Instanzen prozessieren. Aber grundsätzlich kämpfen wir für unsere Unternehmen, solange das eben möglich und sinnvoll ist. Ein Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht kommt schon häufiger Mal vor.
Vielen Dank für diese Schilderung aus Ihrer täglichen Arbeit. Sie waren auch mit einem VSW-Stand auf der B2B NORD in Hamburg-Schnelsen. Abschließend noch die Frage: Wie ist Ihre persönliche Bilanz?
Sehr gut. Wir haben sehr viele Gespräche mit Unternehmern geführt, die uns bisher noch nicht kannten. In jedem Fall werden wir auch im November wieder mit einem Stand vertreten sein.
Foto: Das Team, bestehend aus hoch spezialisierten Fachanwälten, steht seinen Verbandsmitgliedern stets pragmatisch zur Seite. Im Bereich der Rechtsberatung und Prozessvertretung kommt den Mitgliedern insbesondere die langjährige Erfahrung der Verbandsanwälte zugute.