Hamburg (em/kv) In zwei Folgen wird das Thema Einfachheit versus Komplexität behandelt. In dieser ersten die Probleme und Gefahren, die sich aus der Komplexität ergeben, in der nächsten Ausgabe des Wirtschaftsmagazins B2B NORD die Lösungen durch Einfachheit.
Aus Unwissenheit, Ignoranz und mit erheblichen Konsequenzen für Unternehmen, Politik und die gesellschaftlichen Systeme wird das Thema Komplexität unterschätzt. Dabei ist die zunehmende Komplexität und besonders das fehlende Wissen um die Komplexität und die Methoden über den Umgang damit die große Herausforderung. Sie zeigt sich im Scheitern vieler Großprojekte, in der Mittelmäßigkeit vieler Unternehmen und nicht zuletzt darin, dass auch die Politik mehr Probleme schafft als sie löst.
Unbekannt ist diese Herausforderung nicht. Nach der Global CEO Study von 2010 der IBM bezeichnen die befragten Führungskräfte weltweit die rasche Zunahme von Komplexität als ihre größte Herausforderung. Die Berater von Bain & Co. stellten 2012 in einer Studie fest, dass 80 Prozent von fast 400 weltweit befragten Führungskräften die interne Komplexität und nicht etwa mangelndes Marktpotenzial für den „lautlosen Killer“ profitablen Wachstums halten. Unbekannt ist allerdings in der Regel, was Komplexität überhaupt ist, wie wir damit am besten umgehen und welche Kenntnisse uns bei der Bewältigung von Komplexität helfen. Überwiegend besteht die Ansicht, noch mehr Daten, mehr Informationen und noch mehr Wissen schaffen die Lösung aller Probleme. Modern sind heute die Illusionen um das Thema Big Data.
Eine Mitgliederumfrage des VDI im Mai 2012 zeigte, dass 84 Prozent der befragten Ingenieure die zunehmende Komplexität in ihrer Praxis wahrnehmen. Sie behaupten gleichzeitig aber, sie seien in der Lage, diese zu bewältigen. Fast 90 Prozent der Teilnehmer bezeichnen den Umgang mit Komplexität als ihre Stärke. Fast 70 Prozent glauben, Werkzeuge zur Bewältigung von Komplexität zu nutzen. Dennoch nimmt die Komplexität ständig zu! Der Widerspruch ist offensichtlich. Ich bezweifel, dass ausreichend Kenntnisse zur Komplexitätsbeherrschung überhaupt vorhanden sind. Die wenigsten sind wirklich vorbereitet. Für hilfreich gehaltenes Wissen und angeblich wirksame Methoden bewirken nur allzu oft das Gegenteil dessen, was beabsichtigt ist. Ganz so wie man oft beobachtet, dass das Verfehlen von Zielen durch noch genauere Planung in der Zukunft vermieden werden soll.
Was ist nun Komplexität?
Die Definition lautet: eine Reihe von Elementen ist miteinander verknüpft. Im Unternehmen ist jede Abteilung ein Element. Kunden, Lieferanten, Gesellschafter sind Elemente. Jedes hergestellte Produkt und dazu alle seine Einzelteile sind Elemente. Gesetze und staatliche Regelungen ebenso wie viele interne Regelungen im Unternehmen stellen Elemente dar. Viele dieser Elemente sind meistens in irgendeiner Weise miteinander verbunden. Komplexität ist besonders groß, wenn es sich um viele Elemente mit vielen Verbindungen untereinander handelt. Diese Komplexität führt sehr oft zu unvorhersehbaren Ergebnissen, zu ständigen Rückkopplungen und Veränderungen im System. Hier liegen die Gefahren der Komplexität. Das Gewollte, bestimmte Absichten und Systeme wie zum Beispiel organisatorische Gestaltungen funktionieren einfach nicht oder führen zu ungewollten und schlechten Resultaten. Daher muss zunächst das „Phänomen“ Komplexität als solches bewusst gemacht werden, um es sodann aktiv zu beeinflussen, um nicht umgekehrt von der Komplexität überwältigt zu werden.
Wie entsteht Komplexität?
Komplexität entsteht durch unklare Ziele und besonders auch dann, wenn der Mut zum Verzicht fehlt, wenn alles das gemacht wird, was möglich ist. „Nice-to-have“ heißt die Falle. Auch Angst vor Fehlern und der damit verbundene Hang zur Perfektion begünstigen komplexe Systeme und Regeln. Manche Unternehmen können nicht klar, überzeugend und einfach erklären, warum die Kunden gerade ihr Produkt oder in ihrem Laden kaufen sollten. Andere ermitteln mühsam die Kosten von Betriebsprozessen, um diese zu verringern. Kosten kann man aber auch reduzieren, ohne sie vorher zu errechnen. Fast alle verschwenden Energie und Zeit mit der Quantifizierung von Jahreszielen für die Mitarbeiter. Umfangreiche Bonussysteme und Budgeting-Prozesse sind weitere Komplexitätstreiber. Der Staat ist mit seinen Gesetzen Meister der Komplexität. Es gibt 150 familienpolitische Sozialleistungen, das komplexeste Steuersystem der Welt. Niemand beherrscht diese Vielfalt.
Der Umgang mit Komplexität
Einfachheit ist ein Zustand, Vereinfachung ist eine Methode. Sie soll bewirken, dass Systeme, Institutionen oder Projekte im Sinne des Erfinders erstens überhaupt funktionieren und zweitens zu guten und wirksamen Ergebnissen führen. Dabei hilft der „Dreischritt“. Schritt 1: Komplexität überhaupt vermeiden. Die Fahrkarte wird am Schalter und nicht am Automaten gekauft. Schritt 2: Komplexität wird reduziert. Unilever reduzierte seine Markenzahl von 1600 auf 400. Schritt 3: Beherrschung der Restkomplexität. Organisatorische Maßnahmen wie Dezentralisation und Delegation der Verantwortung oder die Methode Versuch und Irrtum.
Foto: Dieter Brandes, geb. 1941 in Hamburg, Diplom-Kaufmann Universität Hamburg