Norderstedt (kv/ng) Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, kam gemeinsam mit Katrin Schmieder (Vorstandsmitglied der Norderstedter Grünen) als Gast des Regenta Verlages zum WirtschaftsDialog.
In den NORDPORT Towers in Norderstedt stellte sich der Politiker den Fragen der Anwesenden Unternehmern aus der Metropolregion Hamburg zu Plänen und Zielen der Grünen und überzeugte mit fundierten Antworten und Lösungsansätzen in umweltpolitischen und wirtschaftlichen Fragen. Dabei wurde insbesondere deutlich, dass die Grünen ihre Umweltpolitik in die Wirtschaftspolitik umsetzen.
Sven Boysen: Mit den Grünen wäre die Solarbranche sicherlich nicht angegriffen worden. Sehen Sie für diese trotzdem noch eine Chance?
Jürgen Trittin: Ich habe vor Jahren schon gesehen, dass in Deutschland eine neue Industrie rund um die erneuerbaren Energien entsteht. Die Grünen haben diese Branche früher mit der SPD auf den Weg gebracht. Nun ist Deutschland Industrieführer im Bereich der erneuerbaren Energien. Diese Technologie war und ist eine Chance für viele Krisen-Branchen. Das hat auch die Haltung der Grünen zur Wirtschaftspolitik verändert. Wir haben begriffen, dass man die Industrie als Ganzes sehen muss. Erneuerbare Technologien sind zum Beispiel ohne Maschinenbau, Metall- und Chemieindustrie nicht denkbar. Deutschland hat einen Technologievorsprung und kann deshalb in spezialisierten Bereichen gewinnbringend arbeiten. Die Ressourcen werden knapp, daher müssen wir uns auf eine hohe Ressourceneffizienz und das Voranbringen der Technologie konzentrieren.
Sven Boysen: Wenn die Grünen an die Regierung kommen, gibt es dann eine Veränderung in der Solarbranche?
Jürgen Trittin: Ich halte es für nicht sinnvoll, diese Branche vom Markt zu drängen. Mit der Kürzung der Zuschüsse wurde die Branche getroffen, die am effektivsten war. Verkauft wurde dieser Beschluss mit der Notwendigkeit, Kosten zu sparen. Dabei liegt das Preisniveau sogar unter denen der Niederlande und Frankreich. Das Phänomen in Deutschland ist ein stabilisierter Strompreis durch Photovoltaik.
Sven Boysen: Soll Solar zurückgeholt werden?
Jürgen Trittin: Die Branche ist immer mit Senkungen klargekommen. Sie hätte jetzt ihre Netzparität erreicht. Im Gesetz ist eine kontinuierliche Degression vorgesehen. Wichtig ist jetzt, dass wir zur Berechenbarkeit zurückkehren, die 90 Prozent-Regelung für die Einspeisevergütung muss weg.
Sven Boysen: Gibt es eine zweite Chance zur Optimierung des Gesetzes durch den Bundesrat?
Jürgen Trittin: Wir arbeiten daran. Für einen Einspruch fehlt uns zu den 34 Stimmen allerdings noch DIALOG eine. Ich würde mir wünschen, dass diese von der schleswig-holsteinischen Landesregierung kommt. Das ist keine Parteifrage mehr. Was vor allen Dingen nicht akzeptabel ist, ist, dass nicht der komplette Strom abgenommen wird.
Thomas Leidreiter: Die 90 Prozent sind das Brutalste, was passiert ist. Ich versuche für die Zukunft positiv zu denken. Wir haben zwei Bürgersolaranlagen in Henstedt-Ulzburg und Bad Bramstedt, allerdings ist es auf kommunalen Flächen schwierig, Solaranlagen aufzubauen. Müsste nicht mehr Druck auf die Energieversorger ausgeübt werden? Zudem werden hierfür auch immer mehr bürokratische Hindernisse aufgebaut.
Jürgen Trittin: Wir brauchen mehr Konkurrenz, damit Nuklear die Branche nicht weiter beherrscht, und einen gemischten Besitz der Netze wir wollen weder eine Verstaatlichung noch ein reines Modell aus Privathand, beides ist alleine nicht zielführend. Ich war dabei, als die Offshore-Anlagen 2002 genehmigt wurden. Diese sind aber immer noch nicht gebaut, denn die Finanzierung ist das Problem. Leider gibt es in Deutschland eine Verhinderungspolitik.
Thomas Leidreiter: Es gibt Anlagen, die man leistungstechnisch herunterfahren kann. Allerdings ist dieses sehr teuer. Wir brauchen eine dezentrale Energieversorgung, da müsste die Politik einschreiten. Wie können die bürokratischen Hürden für kleine Anlagen verringert werden?
Jürgen Trittin: Ich denke, dass die ganze Dimension von vielen nicht verstanden wird. Windige Tage bedeuten mehr Energie. Das passt aber nicht ins System der Stromanlagen. Ein modernes Kohlekraftwerk lohnt sich nur, wenn es 6.000 bis 8.000 Stunden läuft. Das kann man aber nicht garantieren. Die Bundesregierung ist der Meinung jedes neue Kohlekraftwerk zu genehmigen. Eine Kraftwerksneustruktur ist hier von zentraler Bedeutung.
Sven Boysen: Für die örtlichen Betreiber von Stadtwerken ist es tödlich, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht. Ist nicht gerade dann Ressourcenmanagement wichtig?
Jürgen Trittin: Wir müssen uns von dieser Baseload also der Grundlast verabschieden. Wir können mittlerweile sehr wohl voraussehen, wie viel Windstrom morgen produziert wird. Es muss ein neues Management geben, also eine andere Steuerung, Kapazitätskraftwerke und die Struktur müssen aufgebaut werden. Davon sind wir jetzt noch weit entfernt. Eine Grundstabilität wie vorher gibt es nicht mehr, weil wir einen Systemkonflikt haben. Diesen müssen wir, um die Energiewende zu schaffen, lösen. Doch die Bereitschaft dazu sehe ich nicht.
Matthias Gipp: Könnte es helfen, wenn neue „Player“ andere Wege in der Energiebranche gehen?
Jürgen Trittin: Das wäre ein guter Schritt, aber seit einem Jahr ist die Energiewende im Gespräch. Es wurde jedoch immer noch nicht geschafft, einen Kompromiss mit den Ländern zu finden.
Sven Boysen: Zum Thema Sanierung: Die Menschen dämmen sich oftmals schimmelig. Sie versuchen alte Gebäude auf einen Neubaustand zu bringen, zum Energiehaus.
Jürgen Trittin: Einen alten Bau auf einen hohen Standard zu bringen, man muss das auch können. Die Menschen haben oftmals keine temperierte Lüftung und die Feuchtigkeitsabfuhr nicht im Griff. Dabei gibt es mittlerweile Technologien, die nahezu geräuschlos sind.
Matthias Gipp: Das Problem ist, dass jeder Fachmann etwas anderes erzählt. Und das Meiste bringen bei der Dämmung eigentlich die ersten zehn Zentimeter.
Jürgen Trittin: Bei der Gebäudesanierung sollte man die Standards nicht zu hoch ansetzen. Das ist nicht ökonomisch.
Wolfgang Sohst: Man darf ein Einfamilienhaus nicht bautechnisch überfordern. Zudem gibt es das Problem, dass viele Handwerker mit den neuen Technologien überfordert sind und Reparaturen in diesem Bereich dadurch oftmals von einem Ingenieur durchgeführt werden müssen.
Jürgen Trittin: Es gibt viele Fortbildungen von den Kammern, die dieses Problem begriffen haben und durch die Fortbildungen Betrieben einen Vorteil auf dem Handwerkermarkt ermöglichen. Meine Hauptsorge sind aber nicht Einfamilienhäuser, denn Bauherren sind sehr interessiert am neusten Stand der Technik für ihr Eigentum und informieren sich dementsprechend. Das Problem sehe ich eher beim Geschoss- und Bürobau. Es werden nur 0,5 Prozent des Bestandes renoviert. Um eine angenehme Einsparung zu haben, müssten es zwei bis drei Prozent sein. Hier ist ganz klar ersichtlich, dass Wohnungsbaugesellschaften kapitalorientiert arbeiten.
Sven Boysen: Was können die Grünen beim Thema Wirtschaft? Was gibt es für Themen?
Jürgen Trittin: Wir möchten erneuerbare Energien, Handwerk und lokale Bauunternehmen, eben die kleinen und mittelständischen Unternehmen, unterstützen. Denn dort ist die Kreativität oftmals größer, als in großen Unternehmen. Wir stellen uns eine steuerliche Forschungsförderung für Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern vor. Wir müssen Ressourcen effizienter nutzen und brauchen einen Dreiklang aus Effizienz, Substitution und Recycling.
Sven Boysen: Sind die Grünen immer noch eine Spaßbremse?
Jürgen Trittin: Nein, ich denke die jungen Leute haben begriffen, dass die Ressourcen knapp werden und nutzen von sich aus immer mehr neue Mobilitätsmodelle. Natürlich können sich die Meisten solche Autos wie einen „Tesla“ nicht leisten. Dauerhaft damit zu fahren ist sozusagen unbequem. Es gibt die Idee eines Systems, die Autos nicht zu besitzen, sondern die Verkehrsmittel lediglich zu nutzen. Das ist sehr interessant, denn man braucht nicht in allen Situationen einen „Tesla“. Zum Beispiel neigen junge Menschen eher dazu, ein Stadtauto zu fahren, was einen geringeren Verbrauch hat. In anderen Situationen benötigt man wiederum einen Wagen, in dem man Familie und Freunde transportieren kann. Die Idee ist es, sich immer genau das Auto zu nehmen, was man braucht. Ich verstehe nicht, was das mit einer Spaßbremse zu tun hat.
Sven Boysen: Gibt es in zehn Jahren noch den Euro in Deutschland?
Jürgen Trittin: Ja, ich denke sogar, dass es dann nicht mehr 17 sondern 18 Eurostaaten sein werden. Auch Frankreich und Spanien werden noch Eurostaaten sein, denn ein Ausstieg ist viel zu teuer.
Thomas Leidreiter: Mir fehlt noch ein Punkt: Die Umwelt ist nur sekundär. Ist sie nicht vermittelbar bei jungen Leuten? So etwas wie Elektromobilität, Wirtschaftlichkeit und Photovoltaik gehen unter.
Jürgen Trittin: Erneuerbare Energien sparen mehr Treibhausgase als alle Autos produzieren, aber das reicht noch nicht. Der Co2-Ausstoß ist weltweit gestiegen, nur Deutschland hat eine ausgeglichene Bilanz. Generell musste man ja leider erst zwanzig Jahre nach der Rio-Deklaration feststellen, dass sich die Situation nicht verändert, sondern sogar verschlimmert hat. Ich finde auch nicht, dass Naturschutz etwas mit Spaßbremse zutun hat. Wenn ich mir die tollen Nationalparks anschaue, macht es mir großen Spaß!