Unter dem Motto „Fokus Fachkräfte: finden, binden und entwickeln“ feierte die IHK zu Kiel am Mittwoch, 1. März 2023, ihren Jahresempfang „Horizont“ und beleuchtete dabei den Fachkräftemangel in vielen Facetten. IHK-Präsident Knud Hansen betonte, die Fachkräftekrise sei „die wohl größte Herausforderung seit der Wiedervereinigung“.
Rund 1.000 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft waren der Einladung zum Jahresempfang gefolgt, den die IHK zu Kiel erstmals seit 2019 wieder im Ostseekai in Kiel ausrichtete. Hansen schilderte, dass die Vorzeichen in der schleswig-holsteinischen Wirtschaft nach dem konjunkturell schwierigen Jahr 2022 auf Erholung stünden. Allerdings wirkten sich hohe Energiekosten und mangelhafte Infrastruktur am Wirtschaftsstandort nachteilig aus. „Politik, Verwaltung und Wirtschaft müssen gemeinsam zeigen, dass Schleswig-Holstein mehr als glückliche Menschen und saubere Luft zu bieten hat. Nur so können wir auch Ansiedlungserfolge verbuchen. Dafür benötigt es insbesondere auch gut ausgebildete Fachkräfte.“
Die stellvertretende Ministerpräsidenten Monika Heinold griff das Thema auf: „Fachkräftemangel ist ein Top-Thema für die Landesregierung, an dem wir gemeinsam mit der Wirtschaft arbeiten. Der Fachkräftemangel trifft Wirtschaft und Verwaltung gleichermaßen. Um junge Menschen für Leben und Arbeiten in Schleswig-Holstein zu begeistern, sind flexible und familienfreundliche Arbeitsplätze eine wichtige Stellschraube. Weitere Schlüssel sind die Digitalisierung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, um Arbeit in Zeiten des demografischen Wandels neu zu organisieren. Klar ist auch: Ohne Fachkräfte aus dem Ausland geht es nicht. Dazu müssen Verfahren in Deutschland einfacher und schlanker werden und es braucht mehr Chancen, dauerhaft hier bleiben zu können.“
Laut Fachkräfteprojektion werden in Schleswig-Holstein bis 2035 rund 300.000 Fachkräfte fehlen. „Schon heute bekommen wir diesen Engpass in fast allen Lebensbereichen zu spüren. Ich bemühe selten Superlative, aber die Fachkräftekrise ist für die Wirtschaft die wohl größte Herausforderung seit der Wiedervereinigung“, sagte Hansen. Unternehmen bräuchten mehr Zeit für ihre eigentliche Arbeit und weniger Bürokratie, flexiblere Arbeitszeitmodelle und unbürokratischere Zulassung von ausländischen Fachkräften durch ein funktionsfähiges Welcome Center. Bei der Bewältigung der Krise komme der Dualen Ausbildung eine Schlüsselrolle zu. Während das Ausbildungsangebot im Land jedoch fast das Niveau von 2019 erreicht (-1,7 Prozent), liegt die Zahl der Bewerbenden im selben Zeitraum bei -24,3 Prozent. „Wer meint, dieses Ungleichgewicht mit einer staatlichen Ausbildungsplatzgarantie in den Griff zu bekommen, der verrechnet sich.“ Stattdessen brauche es Aufklärungsarbeit, denn 37 Prozent der Schülerinnen und Schüler glauben nach einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung, es gebe zu wenig Ausbildungsplätze; bei den Jugendlichen mit niedriger Schulbildung sind es 49 Prozent.
Vor diesem Hintergrund nahm Hansen die Landesregierung in die Pflicht, den Stellenwert der Dualen Ausbildung weiter zu erhöhen und die im Koalitionsvertrag verankerte Gleichbehandlung beruflicher und akademischer Bildung umzusetzen. Ein geeignetes Instrument, das Ausbildungsinteresse zu steigern, seien die „Ausbildungsbotschafter“. Dies sind Azubis, die im Berufsorientierungsunterricht in den Schulen authentische Einblicke in ihre Arbeitswelt geben. Auf Seiten der Schulen, so Hansen, werde das Angebot jedoch noch sehr verhalten nachgefragt, obwohl die Corona-Beschränkungen gefallen sind.
Passend dazu ordneten die stellvertretende Ministerpräsidentin und der IHK-Präsident beim Spiel des Abends Ausbildungsberufen spezifische Gegenstände zu: die Pralinengabel dem Beruf Süßwarentechnolog/in, den Zentrierwinkel der Bauzeichner/in oder den Hufkratzer der Tierpfleger/in. Stellvertretend für den Ministerpräsidenten sagte Heinold zu, in den kommenden Monaten gemeinsam mit Azubi-Botschaftern eine Doppelstunde in eine Schule zu gehen, um dort den jungen Menschen die Chancen einer Dualen Ausbildung aufzuzeigen.
Einen fachlichen Impuls lieferte Professor Friedrich Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Esser betonte, der Ausbildungsmarkt wandele sich in Deutschland immer mehr zu einem Bewerbermarkt. Betriebe müssten sich bei den Jugendlichen bewerben – nicht umgekehrt. „Die Unternehmen müssen sich noch stärker für eine noch breitere Klientel öffnen. Nur so können sie die in- und ausländischen Potenziale nutzen“, sagte Esser. Insbesondere für die Dekarbonisierung und die Digitalisierung als wesentliche Handlungsfelder der Wirtschaft brauche es eine ausreichend hohe Zahl an Fachkräften.
In der anschließenden Talk-Runde diskutierten die Gäste zur Frage, wie sich Fachkräfte finden, binden und entwickeln lassen. Julika Bleil, Gründerin und Geschäftsführerin Land & Liebe Badmöbel GmbH aus Schenefeld, sagte zum Finden von Fachkräften: „Haltung sticht Qualifikation – mutige Ausschreibungen werden belohnt!“ Neben der Lust auf Arbeit sei bei der Besetzung die Produktliebe wichtiger als Fachqualifikation. Christina Bichel-Riemer, Personalleiterin bei der Loll Feinmechanik GmbH aus Tornesch, schilderte: „Die besten Fachkräfte sind diejenigen, die man selbst ausgebildet und dann fortgebildet hat.” Nachwuchs aus den eigenen Reihen nehme einen hohen Stellenwert ein, das Unternehmen stecke viel Energie in die Ausbildung und die Bindung der Fachkräfte. Stefanie Siebken, Personalchefin der Herbert Voigt GmbH & Co. KG aus Neumünster, ergänzte zur Fachkräfteentwicklung: „Entwicklung braucht nicht Brief und Siegel.” Bezogen auf die ausländischen Erwerbspotenziale berichtete Siebken, dass überkomplexe, bürokratische Verfahren, die fehlende Digitalisierung sowie die Vielzahl an behördlichen Zuständigkeiten die Suche erschwerten.
IHK-Hauptgeschäftsführer Jörg Orlemann wagte einen Ausblick auf das Jahr 2023: „Horizont ist erst der Auftakt für das Jahresthema Fachkräfte. Hier wird unser Fokus auch über 2023 hinaus liegen.“ Orlemann kündigte an, dass am 9. März eine bundesweit einheitliche Azubikampagne aller 79 IHKs startet, um mit gebündelten Kräften und in der Sprache junger Menschen für die Karriereperspektiven der Dualen Ausbildung zu werben. Darüber hinaus führe die IHK zu Kiel eine Studie zum Berufswahlverhalten durch. „Wir wollen wissen, wo der Groschen bei Schülerinnen und Schülern tatsächlich fällt, ob sie sich für eine Ausbildung oder ein Studium entscheiden.“ Auch bei der Leuchtfeuer-Fahrt zur Kieler Woche und dem Tag der offenen Tür im November werde das Thema Fachkräfte beleuchtet.
Foto: Die stellvertretende Ministerpräsidentin Monika Heinold und IHK-Präsident Knud Hansen